Wahrsager-Urteil des Bundesgerichtshofs: Preis des Übersinnlichen (2024)

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Wahrsager-Urteil des Bundesgerichtshofs: Preis des Übersinnlichen (1)

Karlsruhe - Im Herbst 2007 war er am Boden zerstört: Seine langjährige Freundin hatte ihn verlassen, der selbständige Werber und Messebauer in den Vierzigern wollte die Frau unbedingt zurückgewinnen. Schamanen und eine Wahrsagerin hatte er bereits konsultiert - ohne Erfolg. Im Internet suchte der Mann aus dem Raum Stuttgart nach Lebenshilfe und stieß auf die verhängnisvolle Anzeige. "Life-Coaching", Lebensberatung in Kombination mit Kartenlegen, bot eine Frau darin an.

Die Kartenlegerin versprach den Einsatz ihrer "Energie", um bei den Partnerschaftsproblemen "nachzuhelfen". Auch ein "Code" beziehungsweise ein "Ritual" sollten die Situation positiv beeinflussen. Mehrmals pro Woche, manchmal sogar mehrmals am Tag telefonierte der Mann mit der Frau, ließ sich zu privaten und beruflichen Lebensfragen die Karten legen und Ratschläge erteilen. Er schilderte Details aus seinem Leben, gab ihr Briefe, besprach geschäftliche Fragen mit ihr. Sie legte Tarotkarten, ließ ihn Kerzen anzünden und Sprüche aufsagen.

Rund ein Jahr lang glaubte der Mann seinem Anwalt Andreas Steudel zufolge, auf diese Weise die Ex-Freundin zurückgewinnen zu können. Die ersten Telefonate mit der Kartenlegerin waren kostenlos, zum Kennenlernen, sozusagen. Dann ließ sich die Frau ihre Dienste teuer bezahlen: Kartenlegen kostete 100 Euro, Coachings wurden mit 100 Euro für die ersten 30 Minuten und 50 Euro für alle weiteren angefallenen 15 Minuten abgerechnet.

Der Mann erhielt Rabatt. Dennoch kam eine beachtliche Summe zusammen: 35.000 Euro zahlte er 2008.

Verrückt, möchte man meinen, doch sein Anwalt sagt: Eigentlich sei der Mann ganz normal, "man würde ihm so etwas gar nicht zutrauen". Er sehe gut aus, könne durchaus souverän auftreten. "Mein Mandant war in einer psychischen Zwangslage", so Steudel. Die Kartenlegerin habe dies ausgenutzt, ihn "in ihre Welt hineingezogen und wie eine Weihnachtsgans ausgenommen". Dazu habe sie mit der Lösung von Problemen geworben. "Kunden hätten ihr gesagt, dass die von ihr vorhergesagten Dinge eintreffen", sagte Steudel.

Im Februar 2009 war jedoch Schluss. Nach einer Sektenberatung der Stuttgarter "Aktion Bildungsinformation" brach der Mann den Kontakt zu der Kartenlegerin ab und verweigerte die Zahlung von 6723,50 Euro, die noch ausstanden.

Die Frau klagte die ausstehende Vergütung ein - und unterlag in den ersten Instanzen. Die von ihr versprochene Leistung sei auf den Gebrauch übernatürlicher, magischer Kräfte und Fähigkeiten gerichtet gewesen und damit objektiv unmöglich, befanden Landgericht und Oberlandesgericht Stuttgart. Daher entfalle der Anspruch auf Bezahlung.

Erfolg sei weder versprochen noch erwartet worden

Die Dame, die als Selbständige mit Gewerbeanmeldung tätig ist, zog vor den Bundesgerichtshof (BGH). Sie berief sich auf die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses, die Berufs- und die Vertragsfreiheit. Zwischen den Parteien sei zumindest stillschweigend ein Vertragsverhältnis zustande gekommen. Ein bestimmter Erfolg sei jedoch weder versprochen noch erwartet worden.

"Kartenlegen ist als Gewerbe erlaubt, dann muss man auch die Möglichkeit haben, die Vergütung auf einer rechtlichen Grundlage einfordern zu können", sagte der Anwalt der Frau, Peter Baukelmann. Viele Menschen glaubten an übersinnliche Kräfte und hätten das Recht, Verträge außerhalb der "naturwissenschaftlichen Vernunft" zu schließen - die dann auch gültig seien.

Tarot ist ein Kartenorakel, das in seiner heutigen Struktur seit dem 16. Jahrhundert bekannt ist. Kartenleger glauben an eine einzigartige, zufällige Konstellation, die die spezielle Qualität des Augenblicks spiegelt. Inzwischen gibt es mehrere Internetportale, die Kartenlegen als Lebenshilfe anbieten. Rund zwei Euro kostet die Minute bei diversen Hotlines.

"Rational nicht erklärbar"

Der Markt für Wahrsager, Kartenleser und andere Anbieter von "magischen" oder parapsychologischen Diensten wächst. Doch haben sie auch Anspruch auf eine Bezahlung für ihre Leistungen? Können sie die Bezahlung einklagen?

Der BGH fällte nun ein Sowohl-als-auch-Urteil.

Die Karlsruher Richter stimmten mit den Vorinstanzen darin überein, dass Lebensberatung mit Kartenlegen zwar eine "objektiv unmögliche" Leistung sei, da sie auf übernatürlichen, magischen Kräften beruhe. Dennoch können Kartenleger für ihre Dienste grundsätzlich Geld verlangen, wenn ein Vertrag geschlossen wurde.

Ein Kunde muss für magische Leistungen zahlen, wenn er diese im Bewusstsein darüber "erkaufte", dass "die Geeignetheit und Tauglichkeit dieser Leistungen zur Erreichung des von ihm gewünschten Erfolgs rational nicht erklärbar ist", sich also irrationalen Verhaltens bewusst ist, hieß es in dem am Donnerstag veröffentlichten Urteil.

Honorarverträge von Wahrsagern und Kartenlegern können nach Ansicht des BGH jedoch sittenwidrig und nichtig sein, wenn sie mit Kunden in "schwierigen Lebenssituationen" oder psychisch labilen oder leichtgläubigen, unerfahrenen Menschen abgeschlossen wurden.

Den konkreten Fall verwies der BGH nun an die Vorinstanz zurück. Das Oberlandesgericht Stuttgart muss klären, ob es eine Vereinbarung zur Bezahlung zwischen Kartenlegerin und Kunden gab. Außerdem muss er prüfen, ob die Kartenlegerin die Zwangslage und das mangelnde Urteilsvermögen ihres Kunden ausgebeutet und damit gegen "die guten Sitten" im Sinne von Paragraf 138 des Bürgerlichen Gesetzbuchs verstoßen hat. Sollte die Frau sittenwidrig gehandelt haben, kann der enttäuschte Kunde auch die bereits an sie gezahlten Gebühren in Höhe von 35.000 Euro zurückfordern.

Die Entscheidung des BGH könnte dazu führen, dass künftig mehr Wahrsager, Astrologen und Kartenleser ausstehende Honorare einklagen. Bisher galten derartige Verfahren zumeist als aussichtslos. Auf der anderen Seite können sich nun aber auch unzufriedene Kunden darauf berufen, dass ihnen sittenwidrig Geld abgenommen wurde. Es wird auf den Einzelfall ankommen.

Die Kartenlegerin aus dem konkreten Fall hält der deutsche Tarotverband für ein schwarzes Schaf der Branche. "Wenn der Mann so oft Kontakt zu ihr hatte, ließ sie eine Art Abhängigkeit zu. Das ist hochgradig unseriös", sagt die Vorstandsvorsitzende Susanne Zitzl. "Nicht nur Glücksspiele machen abhängig, sondern auch Glücksversprechen." Wenn jemand nach wenigen Tagen bereits wieder oder sogar mehrmals am Tag anrufe, müsse man ihm empfehlen, erst mal "die irdischen Dinge" zu regulieren. "Die Karten sind keine Rundumlösung, sondern eine Art Seelenhygiene. Sie bieten Hilfe zur Selbsthilfe", so Zitzl.

Leider sei der Beruf nicht staatlich anerkannt, so dass Scharlatane nicht des Berufsstands verwiesen werden könnte. Der Tarotverband achte jedoch auf die Qualität seiner Mitglieder. "Wenn es Beschwerden gibt, gehen wir dem nach", sagt Zitzl. Außerdem versuche man durch eine Ausbildung und eine Verbandsprüfung gewisse Standards zu halten.

(Aktenzeichen: Bundesgerichtshof III ZR 87/10)

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Author: Lilliana Bartoletti

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